In meinem neuen Buch „Leibgerichte“ erzähle ich Geschichten rund um Lieblingsessen – sie sind kurz und möglichst einfach geschrieben, da sie für die Arbeit mit Senioren und Menschen mit Demenz gedacht sind. Der Vorteil dieser Schreibweise ist, dass sich die Geschichten für alle Zielgruppe gut zum Vorlesen eignen, weil man sich nicht in literarischen Abzweigungen verheddert. Es war nicht leicht, die Leibgerichte von heutigen Senior:innen herauszufinden, aber ich habe schon immer meinen Tanten und Onkel aufs Maul und auf den Teller geschaut und Gespräche bzw. das Internet helfen immer bei der Recherche. Letztlich sollen die Geschichten Aufhänger für Gespräche sein und mir war wichtig, dass sie immer amüsant enden oder es einen überraschenden Twist gibt. Unten finden Sie zwei Beiträge, die ich in meinem früheren Blog zur Recherche geschrieben habe.
Birgit Ebbert: Leibgerichte. Verlag an der Ruhr 2015
19.02.2015 Leibgerichte – Vorlesegeschichten rund um Lieblingsspeisen
2015 ist ein Jahr der Lieblingsbücher, Lieblingsorte und Lieblingsspeisen. Es erscheinen sechs Bücher, die mir alle gleichermaßen am Herzen liegen, für ein neues Buch frage ich nach Lieblingsorten und im letzten Jahr habe ich Geschichten über Lieblingsspeisen geschrieben. An dem Buch, das unter dem Titel „Leibgerichte“ im Verlag an der Ruhr erscheinen wird und dessen Geschichten als „Vorlesegeschichten für die Arbeit mit demenzkranken Menschen“ gedacht sind, kann man gut sehen, wie lange es dauert von der Idee bis zum fertigen Buch. Ich war davon ausgegangen, dass ich letztes Jahr im Mai nach euren Lieblingsspeisen gefragt hätte. Zum Glück habe ich den Facebook-Thread aufbewahrt und habe überrascht festgestellt, dass das bereits im September 2013 war. Um die Zeit habe ich begonnen, mich mit den Lieblingsgerichten der Menschen von den 30er Jahren bis heute zu beschäftigen – über alle Regionen hinweg, eine echte Herausforderung. Es gab tatsächlich nur ein einziges Gericht, das anscheinend überall bekannt ist bzw. auch vor 50 Jahren bekannt war, wenn auch unter anderen Namen: Reibekuchen oder auch Kartoffelpuffer, Reiberdatschi, Kartoffelplätzchen … Natürlich gibt es eine Geschichte, die mit diesem Essen zusammenhängt. Aber auch Milchreis und Pfannkuchen, Kohlrouladen, Erbsensuppe, Grünkohl, Hering mit Pellkartoffeln, Kartoffelsalat mit Würstchen und einige andere.
Die Geschichten ranken sich mehr oder weniger dicht um die Zubereitung der Gerichte, es geht vor allem darum mit den Schilderungen Erinnerungen wachzurufen. Dafür bin ich in verschiedene Rollen geschlüpft und habe gelegentlich aus dem Erinnerungsschatz geschöpft. Schon als Kind fand ich es interessant, wenn meine Eltern aus ihrer Kindheit und Jugend erzählten. Mein Vater war ohnehin ein begnadeter Geschichtenerzähler und da er seine Umgebung immer sehr genau wahrgenommen hat und als junger Malergeselle auf Wanderschaft gewesen war, hatte er viel zu erzählen. In „Immer diese Erbsensuppe“ habe ich ihm deshalb ein Denkmal gesetzt und dem Protagonisten seinen Namen und seine Gedanken verliehen. Ehrlich, auf eine solche Idee wäre ich im Leben nicht gekommen, aber er hat sie wiederholt erzählt und ich erinnere mich gut, dass er sich jedesmal schüttelte bei der Erinnerung.
Um 16 Gerichte, die in dem Buch vorkommen, zu finden, habe ich Bücher gewälzt, mich durch Internetseiten und vor allem Foren gelesen, in denen nach Lieblingsgerichten der Kindheit, nach Omas Rezepten, Kriegsspeisen und ähnlichem gefragt wurde. Und ich habe bei Facebook gefragt: „An welche Speisen aus eurer Kindheit oder der Erzählungen eurer Eltern und Großeltern erinnert ihr euch? Daraus entbrannte eine heiße Diskussion darüber, wem was schmeckt und nicht. Vorschläge waren:
- Süße Brotsuppe (aus Brotresten, Milch und Rosinen, „Sah aus wie Kotze, war aber lecker“)
- Dampfnudel
- Mehlspatzen mit Obst und gerösteten Brotstückchen
- Springerle
- Semmelschmarrn
- Nudeln mit süßer Milch oder nur Zucker drauf
- Schokoladensuppe mit Eischneenockerln
- Rübstiel (Stielmus)
- Himmel und Erde (Himme-un-Äd, Äpfel-Kartoffel-Stampf mit Zwiebeln)
- Oberberger Schlot (Kopfsalat mit zerdrückten Pellkartoffeln, Zwiebelchen, Schmand und ganz viel kleingeschnittenem frischen Schnittlauch)
- Waffeln mit Rübenkraut
- Linsensuppe
- Rievkooche (Reibekuchen, Reiberdatschi)
- Möhren- oder Wirsingdurcheinander
- Apfelpfannkuchen
- paniertes Kotelett
- Linsen-, Erbsen-, Bohneneintopf
- Nudeln mit Tomatensoße und (weich) gekochtem Ei
- Schinkenrisotto
- Sulbia
- Rührkuchen mit Walnüssen
- Kalter Hund (Kalte Schnauze)
- Fitzebohnen
- Saure Nierchen
- Dicke Bohnen
- Kohlrüben
- Grützwurst (alias „Tote Oma“) (abgespeichert als Krimititel *grins*)
- Erbspüree mit Sauerkraut
Dann guten Appetit und wenn ihr lieber lest als kocht, hier sind die Infos zu meinem Buch:
„Leibgerichte. Geschichten für die Arbeit mit demenzkranken Menschen“ Verlag an der Ruhr 2015
13.05.2014 Was der Toast Hawaii mit Fernsehköchen zu tun hat
Derzeit schreibe ich an Geschichten, die mit Speisen zu tun haben. Gestern war das neben den Dampfnudeln der Toast Hawaii. Ich habe bei der Recherche so gelacht, dass ich meine Ergebnisse hier als Gedächtnisstütze zusammengefasst habe.
Nun bin ich selbst seit meiner Kindheit ein Toast-Hawaii-Fan und wenn ich in einem Café einen Snack essen möchte, wähle ich ihn fast immer von der Speisekarte. Während des Studiums habe ich vermutlich einmal in der Woche diesen Toast in meinem kleinen Backofen zubereitet – immer nach dem Rezept, das der erste Fernsehkoch Clemens Wilmenrod schon 1955 präsentierte: Toastbrot, eine Scheibe gekochten Schinken, Ananas aus der Dose und Käse darüber. Auf die Kirsche, die ohnehin nicht zum Ursprungsrezept gehörte, habe ich immer verzichtet.
Ja, es gab bereits 1955 eine Kochshow. Genauer gesagt, wurde die erste Kochshow unter dem Titel „Clemens Wilmenrod bittet zu Tisch“ am 20. Februar 1953, wenige Wochen nach dem Fernsehstart überhaupt, ausgestrahlt und die letzte im Mai 1964. Das Konzept war immer gleich: Clemens Wilmenrod begrüßte die Zuschauermit „Ihr lieben, goldigen Menschen“, „Liebe Freunde in Lucullus“ oder „Verehrte Feinschmeckergemeinde“ freitagabends um 21.30 Uhr aus dem Fernsehstudio in einem Hamburger Hochbunker. Überzeugend spielte er vor den Augen von teilweise 90 % aller Fernsehbesitzer in 15 Minuten Kochen, während seine Frau im Hintergrund kochte. Nicht nur seine locker flockigen Begrüßungen und Sprüche begeisterten das Publikum auch seine ausgefallenen Speisentitel wie „Päpstliches Huhn“ oder „Arabisches Reiterfleisch“.
Zu den Speisen die der Schauspieler darbot zählte 1955 auch der „Toast Hawaii“ in der oben beschriebenen Rezeptur. Seither gilt er als Erfinder des Toast Hawaii, der in en 60er Jahren auch Karlsbade Schnitte genannt wurde. Vor einigen Jahren tauchte dann plötzlich der Verdacht auf, der Erfinder des Schinken-Käse-Toast sei sein Erzfeind Hans Karl Adam, bei dem er Koch-Unterricht genommen haben soll. Angeblich hat Wilmenrod, der in Wirklichkeit Carl Clemens Hahn hieß und aus Wilmenrod stammte, von ihm auch einige Rezepte für sein Kochbuch gekauft. Dieser Verdacht wird dadurch erhärtet, dass das Rezept für Toast Hawaii nie in einem der Kochbücher Wilmenrods erschien, dafür aber in ähnlicher Form als „Adams Toast“ in einem Kochbuch von Hans Karl Adam, der ebenfalls Karriere als Fernsehkoch und Buchautor machte. Doch auch er hat das Rezept vermutlich nicht erfunden, wahrscheinlich ist es eine Abwandlung eines amerikanischen „Grilles Spamwich“, das 1939 erstmals veröffentlicht wurde.
Die Geschichte des ersten deutschen Fernsehkochs wurde übrigens unter dem Titel „Es liegt mir auf der Zunge“ von der ARD mit Jan Josef Liefers als Clemens Wilmenrod verfilmt. Ein köstlicher Film, der einen wunderbaren Eindruck in das Leben der 50er Jahre vermittelt, auf dessen Wiederholung ich warte.
Wilmenrod war der erste deutsche Fernsehkoch, er stand in der Tradition von Marcel Boulestrine, der als Fernsehkoch der Londoner BBC 1937 in die Weltgeschichte des Fernsehprogramms einging. Seit Wilmenrod gibt es viele Fernsehköche, ich erinnere mich gut an Ulrich Klever, von dem irgendwo auch noch ein Kochbuch herumfahren müsste. Auch er war kein gelernter Koch, sondern Journalist mit dem Schwerpunkt Hunde und auch seine Sendungen, die von 1967 bis 1972 ausgestrahlt wurden, waren nicht immer das, was sie vorgaben. Wird doch gemunkelt, dass er seine Speisen mit Haarspray verschönerte, damit sie vor der Kamera besser zur Geltung kamen. Immerhin hat er vor der Kamera gekocht im Gegensatz zu Max Inzinger, der stets erklärte „Ich habe da schon mal etwas vorbereitet“ und dann nur noch zeigte und über sprach statt den Kochlöffel zu schwingen. Er begann seine Fernsehlaufbahn 1972 und ich weiß noch, dass dieser Satz „Ich habe da schon mal etwas vorbereitet“ damals etwa so geflügelt war wie vor Jahren Boris Beckers „Ich bin drin.“
Johann Lafer, Alfons Schuhbeck und Co. sind also keineswegs eine Erfindung unserer Zeit. Erstaunlich, was man bei einer winzigen Suche nach einem Rezept alles erfahren kann. © Dr. Birgit Ebbert www.birgit-ebbert.de