An diesem Ratgeber für Eltern rund um die Einschulung habe ich wirklich lange gearbeitet, obwohl ich mich mit dem Thema seit längerer Zeit beschäftige. Aber ich wollte wissen, was wirklich wichtig ist, damit der Schulstart zu einem schönen Erlebnis wird und die Freude der Kinder möglichst lange erhalten bleibt. Die Zahl 100 hat der Gräfe und Unzer Verlag vorgegeben, über dessen Interesse an meiner Buchidee ich mich sehr gefreut habe. Ich stelle in dem Buch 100 von unzähligen Basiskompetenzen vor, die Kindern helfen, die Herausforderung Schule zu bestehen. Dabei war es mir wichtig, die Information mit praktischen Tipps für den Lebensalltag von Familien zu verbinden. Förderung erfolgt nämlich zu Hause nebenbei, wenn Eltern ihre Kinder einbeziehen, mit ihnen sprechen und ihnen etwas zutrauen.
Birgit Ebbert: 100 Dinge, die ein Vorschulkind können sollte. Gräfe & Unzer 2010
Ein Selbstinterview zu 100 Dinge, die ein Vorschulkind können sollte
Da ich nicht nur Autorin, sondern auch Journalistin bin, habe ich mich zu dem Buch selbst interviewt bzw. mir die Fragen beantwortet, die Medien oder Menschen aus meinem Umfeld gestellt haben.
Wie kam es zu dem Buch?
Die Ursprungsidee zu dem Buch kam mir während eines Vortrags zum Thema „Fit für die Schule“. Er fand in einem Kindergarten statt und ich war darauf eingestellt, dass alles, was ich sagen würde, bereits bekannt sei. Umso verblüffter war ich, als ich merkte, dass die Mütter, die dort waren, meine Anregungen und Hinweise förmlich aufgesaugt haben. Ich spürte, dass viele sehr unsicher waren angesichts der Diskussion um frühkindliche Bildung.
War es Ihre Idee oder ist der Verlag an Sie herangetreten?
Nach dem Vortrag habe ich noch mit einigen Müttern und Erzieherinnen gesprochen und dem Verlag dann ein Konzept für ein Buch „Fit für die Schule“ angeboten. Diesen Titel fand der Verlag nicht so toll und er hat mich gefragt, ob ich mir vorstellen könnte, eine bestimmte Anzahl von Tipps zusammenzustellen, z. B. „100 Dinge, die ein Vorschulkind können sollte“. Der Titel war lange nur ein Arbeitstitel, bis er dann irgendwann hängen geblieben ist.
Wie haben Sie dann diese 100 Dinge gefunden?
Ich hatte zwar schon einige Ideen aus dem Vortrag, aber für das Konzept habe ich erst einmal recherchiert. Ich habe natürlich die Bildungspläne durchgearbeitet, die es für die frühkindliche Bildung gibt. Außerdem habe ich eine Umfrage vom ZEPF an der Uni Koblenz/Landau gefunden, da wurden Lehrer befragt, was Kinder aus ihrer Sicht können sollten, wenn sie in die Schule kommen. Viele Ämter haben Checklisten für die Schulfähigkeitstests. Einiges habe ich aus meiner Tätigkeit als Lerntherapeutin und Lernbegleiterin beigesteuert. Da habe ich oft erlebt, dass Kindern mit Lern- oder Schulproblemen grundlegenden Fähigkeiten fehlen. All das habe ich sortiert und dazu dann praktische Übungen, Tipps, Beispiele, Spiele etc. gesucht, manches habe ich mir ausgedacht. Vieles ist auch aus den Elternvorträgen und Gesprächen eingeflossen..
Müssen alle Vorschulkinder dasselbe können?
Zum einen gibt es natürlich die sog. Schulfähigkeitstests, in denen bestimmte Fähigkeiten überprüft werden. Danach kann man schon sagen, dass alle Vorschulkinder dasselbe können sollten. Ich finde das aber auch unabhängig davon wichtig, um Kindern nach der Einschulung ihre Freude an der Schule möglichst lange zu erhalten. Fast alle Kinder freuen sich auf die Schule, sie wollen etwas lernen. Dort begegnen sie aber u. U. Kindern, die bereits weiter entwickelt sind, z. B. weil sie älter sind, andere Talente haben oder anders gefördert wurden. Es gibt Studien, nach denen die Leistungsspanne in der Grundschule mehrere Schuljahre beträgt. Damit Kinder nicht schon zu Beginn Enttäuschungen erleben, finde ich es wichtig, dass sie einige Dinge können, z. B. einen Stift halten. Das hört sich albern an, aber ich habe schon Drittklässler erlebt, die sich mit der ganzen Hand am Stift festgeklammert haben. Sie haben sich so angestrengt und viel Mühe gegeben und trotzdem waren manche Buchstaben kaum zu lesen. Diese Enttäuschung hätte man den Kindern ersparen können, z. B. wenn man rechtzeitig auf eine lockere Stifthaltung geachtet hätte.
Wer sagt, dass ein Vorschulkind das können muss?
Es gibt – im Moment noch – keine oberste Stelle, die bestimmt, was Vorschulkinder können sollten. Allerdings haben Schul- und Gesundheitsämter Kriterien für die Schulfähigkeit, die gelten jedoch nicht bundesweit oder landesweit einheitlich. Es gibt aber eine ganze Reihe von Studien, die zeigen, dass Kinder, die bei der Einschulung bestimmte Fähigkeiten besitzen, sich leichter tun mit dem Lernen als Kinder, die diese Fähigkeiten nicht haben.
Heißt das, dass der Leistungsdruck schon vor der Einschulung losgeht?
Mit Leistungsdruck hat das m. E. wenig zu tun, sondern eher damit, dass sich die Schwerpunkte in der Entwicklung verschoben haben. Kinder können u. U. gut mit dem Computer umgehen und ein Handy bedienen, aber kein Bild ausmalen und nicht auf einem Baumstamm balancieren. Gerade durch die Bewegung trainieren sie z. B. wichtige Fähigkeiten, die für mathematische Zusammenhänge bedeutsam sind. Als Kinder z. B. noch beim Abspülen helfen mussten, bekamen sie ein Gefühl für die Ähnlichkeit und die Anzahl von Dingen. Damit haben sie sich ganz nebenbei Grundlagen angeeignet, die ihnen in der Schule zugute gekommen sind. Heute lernen sie andere Dinge, die für das Lernen der Grundlagen wie Lesen, Schreiben und Rechnen aber nicht so relevant sind. In dem Buch geht es überhaupt nicht um Leistungsdruck, sondern darum, Eltern Mut zu machen, Kinder in den Alltag einzubeziehen, weil sie nebenbei Fähigkeiten üben, die sie später womöglich mit einer Spezialförderung trainieren müssen.
Sind die Kriterien für alle Bundesländer gleich?
Es gibt keine bundesweit einheitlichen Kriterien, die „Checklisten“ für die Einschulung werden oftmals auf der Ebene des Landkreises erstellt, weil die Kreisverwaltung oder das Landratsamt zuständig ist.
Werden in dem Buch ganz genau 100 Dinge vorgestellt?
Ja, es sind genau 100 Dinge. Auf meiner ursprünglichen Liste standen sogar noch mehr, aber das Buch sollte überschaubar bleiben und der Titel zugleich griffig sein, daher wurden 100 Dinge ausgewählt.
Was sollten Eltern tun, wenn ihr Kind etwas nicht kann?
Eltern sollten ihr Kind beobachten und die beschriebenen Spiele und Übungen immer mal wieder ausprobieren. Wenn sie den Eindruck haben, dass ihr Kind etwas nicht kann, sollten sie mit der der Erzieherin sprechen, ob ihr aufgefallen ist, dass das Kind etwas nicht kann, was die anderen bereits können.
Falls ein Kind wirklich Auffälligkeiten zeigt, ist es wichtig, sich mit dem Kinderarzt zu beraten, ggf. muss ein Hör- oder Sehtest gemacht werden, möglicherweise auch ein Sprachstandstest, falls der im Kindergarten nicht durchgeführt wurde. Kinderärzte können an Ergotherapeuten oder Logopäden überweisen, mit deren Hilfe einige Entwicklungsverzögerungen aufgefangen werden können. Auch hier gilt: Es geht nicht darum, Leistungsdruck aufzubauen, sondern den Kindern einen optimalen Start ins Schulleben zu verschaffen und dieser Start beginnt am ersten Schultag und in der ersten Klasse. Ich erlebe immer wieder Kinder, die es mit großen Anstrengungen in die zweite, dritte, ja sogar fünfte Klasse geschafft haben, obwohl ihnen wichtige Grundlagen fehlen.
Wer sind die besten Lehrmeister? Eltern? Erzieher? Andere Kinder? Das Leben?
Da Kinder nicht in einer Glocke mit einer einzelnen Person leben, kann man das gar nicht sagen. Wichtig ist eine gute Balance zwischen allen und die Sicherheit, dass die Eltern hinter einem stehen, auch wenn etwas nicht so läuft, wie sich Erwachsene das vorstellen.
Haben Sie selbst Kinder? Sind Sie Lehrerin?
Ich bin keine Lehrerin und ich habe auch keine eigenen Kinder, aber ich begleite Kinder, seit ich mit 10 Jahren zum ersten Mal die Tochter der vietnamesischen Chefin meiner Mutter aufgepasst und ihr die ersten deutschen Worte beigebracht habe. Das ist nun über 30 Jahre her und in der Zeit habe ich mit vielen Kindern und Jugendlichen gearbeitet und viele Gespräche mit Eltern geführt. All diese Erfahrungen finden sich in diesem Buch wieder.
Gibt es Sachen in dem Buch, die Sie als Autorin NICHT können?
Ich fürchte, manche Sachen kann ich nicht mehr, z. B. durch eine Röhre zu kriechen, zumindest passe ich wohl nicht mehr durch die Röhre auf dem Spielplatz in meiner Nachbarschaft. Und ob ich das mit dem Seilspringen noch hinbekomme? Als Kind konnte ich richtig gut Seilchen springen. Aber auf einem Bein kann ich noch immer hüpfen, weil ich noch immer gerne Hüpfkästchen spiele. Da man dabei richtig gut lernen kann, mache ich das heute noch manchmal mit einzelnen Schülern.
Was sollte man sonst noch über Sie wissen?
Ich bin Diplom-Pädagogin und schreibe außer einem Ratgeber wie diesem Kinderbücher, ich entwickele Lernhilfen und Lernspiele sowie Arbeitsmaterialien für Lehrerinnen und Lehrer und Erzieherinnen. Ich liebe Elefanten, sammle Pixibücher und bin im Münsterland aufgewachsen, wo man noch im Wald streunen und auf der Straße spielen konnte, aber auch beim Spülen helfen musste
Dr. Birgit Ebbert: 100 Dinge, die ein Vorschulkind können sollte. Gräfe & Unzer 2010