Die Idee für den Workshop, den ich am Samstag endlich durchführen konnte, reicht zurück in die Zeit, als ich meine Dissertation geschrieben und alles von Erich Kästner gelesen habe. Bei der Lektüre von „Als ich ein kleiner Junge war“, dachte ich, dass das Buch eine gute Inspiration für eine Autobiografie oder einen Workshop sein könnte. Aber wie das Leben so spielt, es kamen andere Themen, Aufgaben und Herausforderungen. Vor einigen Jahren habe ich die Idee der VHS Hagen angeboten, aber dort war das Thema bereits von einem Stamm-Dozenten besetzt, und so habe ich die Idee wieder eingemottet, bis mich nach meiner Lesung in meiner Kindheitsbücherei in Borken vor einem Jahr die VHS-Mitarbeiterin fragte, ob ich Lust hätte, einen Schreibworkshop anzubieten.
Meine Zeitreise auf dem Weg zum Workshop
Am 4. und 18. September war es nun soweit und auf vielfache Weise seltsam, weil ich auch in meine Geschichte hineingezogen wure. Schon bei der Durchsicht des VHS-Verzeichnisses hatte ich im Team den Namen eines Mannes entdeckt, der mit mir in der Jungkolping-Leitungsgruppe war, und eines anderen Mannes, der mich vor ca. 10 Jahren für Workshops in meinem alten Jugendhaus engagiert hat. Das war mein letzter Besuch in dem Jugendhaus, wenige Jahre später wurde es abgerissen. Heute befindet sich dieser Treffpunkt in meiner aufgelassenen Kindheitskirche, wo sich auch der Vortragssaal der Volkshochschule befindet, in dem ich meinen Workshop durchgeführt habe. Mein Workshop fand dort statt, wo ich ab dem siebten Lebensjahr den Gottesdienst besucht habe, wo ich mit der Klasse und der Organistin auf der Orgelbühne statt, um Kirchenlieder zu üben, wo ich beim Bannertragen eines Sonntagmorgens im Altarraum ohnmächtig zusammenbrach und vor den Augen der Gemeinde herausgetragen werden musste und wo ich an einem Gründonnerstag einen Lachanfall meiner Freundin provoziert habe, als ich die Nase schniefend hochzog, während im Altarraum der Pfarrer zwölf Männern der Gemeinde symbolisch je einen Fuß wusch. Bereits auf dem Weg nach Borken begegneten mir Orte der Kindheit wie die Autobahnabfahrt „Feldhausen“, wo sich damals ein Märchenpark mit Goldesel befand, ich kam am Wellenbad in Heiden vorbei, in dem ich manche Sonnentage verbracht habe. Ich bin mit dem Auto den fünf Kilometer langen Weg gefahren, den ich als Teenager mit untergeschnallten Rollschuhen hinter der Freundin auf Rollerskates bewältigt habe. Und ich war am Grab meines Vaters auf dem Friedhof, der sich dort befindet, wo wir in meiner Kindheit sonntags spazieren gingen und auf dessen Friedwald ich unbedingt meine letzte Ruhestätte bekommen möchte.
Am Abend vor dem zweiten Teil des Workshops wurde ich zuerst durch einen „Lurchi“-Bus vor dem Salamander-Schuhhaus in Hagen und dann durch Liederbücher auf Zeitreise geschickt. Erinnerungen warten überall 😊
Der Workshop „Als ich einmal klein war“
Aber eigentlich wollte ich vom Workshop berichten, in dem gelesen, erzählt und geschrieben wurde. Die Motivation der Teilnehmenden war ganz unterschiedlich oder auch nicht – sie alle wollten ihre Erinnerungen aufschreiben und manche dachten sogar über eine Veröffentlichung nach. Letzteres hatte ich bei der Konzeption des Workshops nicht im Blick, aber zu Freud und Leid von Buchveröffentlichungen kann ich natürlich viel sagen und dazu, worauf man bei der Verlagssuche oder Auswahl eines Online-Anbieters achten sollte. Faszinierend waren die Geschichten der Teilnehmenden – im ersten Schreibblock hat eine Teilnehmerin aufgeschrieben, wie sich ihre Urgroßeltern (!) kennengelernt haben! Im zweiten Schreibblock beschriebe ein Teilnehmer seine ersten Schultage und erzählte, dass er sich erst jetzt wieder an die traurige, aber doch schöne Geschichte in einer klassenübergreifenden Zwergschule im ländlichen Raum erinnert hat. Als wir über Kindheitsorte sprachen und schrieben, wurde deutlich, wie unterschiedlich Stadt- und Landkindheit waren, zum Glück war eine Teilnehmerin in Dortmund aufgewachsen, eine andere in Masuren, eine im Krieg, andere in den 80er Jahren. Erstaunt war ich, dass sich alle schwer taten, ein besonderes Erlebnis im Zusammenhang mit einer Hochzeit oder einer Kirmes zu erinnern, aber da mein Input viele Anknüpfungspunkte enthielten, konnte doch jeder eine Erinnerung zu Papier bringen. Manches wurde sogar direkt literarisch verarbeitet! Ja, meine Anknüpfungspunkte. Die Idee zu dem Workshop hatte ich vor vielen Jahren, als ich das Buch „Als ich ein kleiner Junge war“ von Erich Kästner erneut las. Inzwischen konnte ich rekonstruieren, dass dies 2004 war. Eine Kollegin hatte mich zu einer Haushaltsauflösung mitgenommen, weil ich mich für Bücher interessierte und unter den zu entsorgenden Büchern war auch eine Ausgabe von „Als ich ein kleiner Junge war“, das ich natürlich in einer Sammelausgabe von Kästners Werken für Kinder besaß. Aber das alte Buch hat mich gereizt und beim Lesen habe ich mich an vieles aus meiner Kindheit erinnert. Also habe ich in dem Workshop kurze Ausschnitte aus dem Buch vorgelesen, um die Teilnehmenden zu inspirieren. Der Ansatz war erfolgreich, auch wenn ich beim nächsten Mal die Hochzeiten weglassen würde 😊 – da ich selbst so viele Erinnerungen an Hochzeitstraditionen habe, hätte ich im Münsterland mit mehr Reaktionen gerechnet. Aber eine schöne Geschichte einer Teilnehmerin ist trotzdem dabei herausgekommen. Die Erinnerungen der Teilnehmenden habe ich natürlich nicht kopiert und meine Texte passen nicht in den Blog, aber hier gibt es so viele Erinnerungen. © Dr. Birgit Ebbert www.birgit-ebbert.de